Erst Training – Dann Shooting. Ist ein müdes Pferd das bessere Model?

Sollte ich mein Pferd vor einem Fotoshooting auspowern?

Für Pferde bedeutet ein Fotoshooting oft langes Herumstehen, den Kopf mal nach hier oder da wenden, ein bisschen Gucken und Leckerlies entgegennehmen. Ziemlich entspannt oder? Blöd nur, wenn das Pferd voller Energie ist, dir am liebsten auf den Schoß springen oder die Galoppstrecke entlang brettern würde. Sollte man also sein Pferd vor einem Fotoshooting auspowern, damit es müde und dankbar dafür ist, „nur“ herumstehen zu müssen?

Diese Argumentation begegnet mir in meinem Beruf oft, aber sie ist gänzlich falsch, denn ein wichtiger Punkt wird dabei übersehen:
So ungern wir das alle einsehen wollen, Fotoshootings sind für Pferde ziemlich anstrengend und sie bedeuten immer Stress, so wie jede neue Situation. Wie oft steht dein Pferd rund 45 Minuten an der gleichen Stelle, wird mal hier und da etwas umhergeschoben, darf den Kopf nicht senken, soll möglichst viel mit dir kuscheln und die Öhrchen vorn haben? Ich bin mir ziemlich sicher, dass die meisten das mit „Nie“ bis „extrem selten“ beantworten würden. Zudem kommt, dass ein fremder Mensch die ganze Zeit umherwuselt, die Kamera unbekannte Geräusche macht und das Pferd ständig korrigiert wird.

Nun stellt sich die Frage:
Welches Pferd verliert dabei eher die Nerven und empfindet deutlich mehr Stress?
1. Das Pferd, das müde und erschöpft von einem vorherigen Training ist, gar nicht mehr wirklich mitbekommt, was es jetzt genau machen soll und nicht mehr die Kapazität hat, die Situation zu erfassen. Dieses Pferd ist auch völlig aus seiner Routine gerissen, denn sonst gibt es nach dem Training doch etwas zu futtern oder es geht auf die Weide?
2. Das Pferd, das noch die Kapazität hat, die Situation zu erfassen und auch die Motivation, sich damit vertraut zu machen. Dieses Pferd ist vielleicht ein wenig aktiver, hinterfragt etwas mehr, aber gewöhnt sich auch schneller an die Situation.

Aus meiner Erfahrung kann ich immer nur sagen: Pferd 1 ist viel gestresster und unzufriedener. Die Kapazität für neue Eindrücke ist voll, die Frustrationsschwelle niedrig. Pferd 2 dagegen hat überhaupt die Möglichkeit, sich an die Situation, die Menschen und den Ort zu gewöhnen und vor allem an seine neue Aufgabe. Wenn also die Frage aufkommt, ob man das Pferd vor dem Shooting besser auspowern sollte, dann lautet meine Antwort immer „Nein“.
Denn wer hatte in der Schule denn gern noch einen Überraschungsfototermin, nachdem der Unterricht eigentlich vorbei war?

Zu diesem Thema habe ich mich mit einigen Pferdebesitzern und anderen Pferdefotografinnen unterhalten. Der Konsens, dass ein richtiges Training vor dem Fotoshooting kontraproduktiv ist, blieb bestehen. Allerdings kam eine andere Möglichkeit auf, die einen einen Kompromiss zwischen Training und kein Training darstellt.

Ist eine Aktivierung des Kopfes vor dem Fotoshooting sinnvoll?
Ein wenig Führtraining, ein paar Tricks abfragen oder Ähnliches, das kann manchmal sogar ganz gut sein. Jemand berichtete, dass sich ihr Tier dann eher im „Arbeitsmodus“ befinden würde. Besonders wenn bei dem Shooting Tricks oder kleine „Arbeitseinheiten“ geplant sind, kann es sinnvoll sein, das Pferd vorher auch vom Kopf her darauf vorzubereiten. Das kann beispielsweise geschehen, wenn man mit der Fotografin zur Location läuft oder wenn man bereits dort ist, sodass keine extrem lange Pause für das Pferd entsteht, da dies an der Geduld zehren kann.

Das wichtigste jedoch:
Was ist für mein Pferd das richtige?
Jedes Pferd ist anders. Dein Pferd ist beim Spaziergang und Herumstehen ganz entspannt, aber sobald du etwas abfragst, wird es hibbelig? Dann ergeben weder Training, noch Kopfaktivierung wirklich Sinn.
Hast du hingegen ein Pferd, das erst in den „Arbeitsmodus“ kommen muss, um Ruhe, Geduld und Aufmerksamkeit zu aktivieren? Ein wenig Kopfarbeit schadet nicht.
Es ist deshalb wichtig, keine pauschale Entscheidung zu treffen, sondern sich an sein Pferd anzupassen. Als Fotografin ist es wichtig, diese Entscheidung den Besitzern zu überlassen und darauf zu vertrauen, dass sie ihr Pferd am besten kennen. Alles was ich tun kann, ist, diese Information zu bieten.